Ein Beitrag von Angelika Henke und Cornelia Kin
„Warum träume ich vom Krieg? Haben die Kriegserlebnisse meines Großvaters vielleicht etwas damit zu tun?” Diese Fragen beschäftigten Sebastian. In seinen Träumen kämpft er an der Front.
Sebastian Heinzel war im März zu Gast beim 1. Online Kongress für Kriegsenkel und sprach dort über seinen Film „Der Krieg in mir“. Er erzählte, wie er sich auf Spurensuche in die Vergangenheit seiner Großväter begab und spannende Zusammenhänge erkannte.
Erste Ahnungen
Von außen betrachtet lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern ein idyllisches Leben auf einem Biobauernhof im Schwarzwald. Woher kommen diese inneren Bilder als Soldat? Woher kommt das Wissen, dass der Ort, an dem er sich als Soldat in seinen Träumen sieht, in Russland liegt?
Als Filmregisseur sucht Sebastian immer wieder nach interessanten Geschichten für seine Filme. Seine Reisen führten ihn in den Jahren zuvor häufig nach Osteuropa in die Gebiete von Polen, der Ukraine und Weißrussland (Belarus). Kann das ein Zufall sein? Welchen Bezug hat er zu diesen Orten?
Der Film: “Der Krieg in mir”
Erinnerungen
Seine Träume vom Krieg bescheren ihm schlaflose Nächte. Sebastian beginnt, seine Vergangenheit zu erforschen. Er erinnert sich, wie sein Opa Fritz ihm früher vom Krieg an der Ostfront erzählte. Sein Opa hatte ihn betreut, während seine Eltern zur Arbeit gingen. So verbrachten die beiden viel Zeit miteinander. Die Geschichten vom Krieg faszinierten den kleinen Sebastian. Er erfährt unter anderem, dass der Großvater Im Alter von 17 Jahren als Soldat von Pommern nach Russland geschickt und durch einen Granatsplitter schwer verwundet wurde.
Für Sebastian war der Opa wie ein Vater. Er starb als Sebastian 10 Jahre alt war. Von Opa Hans, seinem Großvater väterlicherseits, dagegen weiß Sebastian lediglich, dass er Unteroffizier bei der Luftwaffe gewesen war.
Karriere und Erfolg – eine große Rolle im Leben der Familie
Durch den Krieg verloren beide Großväter ihre Heimat und bauten sich durch harte Arbeit eine neue Existenz auf. Opa Fritz starb früh, denn er hatte sich trotz der gesundheitlichen Folgen seiner Kriegsverletzung keine Ruhepausen gegönnt. Opa Hans beschloß erst nach mehreren Herzinfarkten seine Werkstatt zu schließen.
Während Sebastian sich sein Leben und das Leben seines Vaters anschaute, wurde ihm klar, dass Leistung eine große Rolle im Leben der Familie spielte und heute auch noch spielt. Der Vater machte Karriere in der Wirtschaft und Sebastian Karriere als Regisseur. Ist die Flucht in die Arbeit ein Muster, dass Sebastian von seinen Großvätern und seinem Vater übernommen hat?
Epigenetik – und Trauma
Seine Nachforschungen führen Sebastian nach Zürich zu Hirnforscherin Prof. Dr. Isabelle Mansuy. Sie erforscht an Mäusen, wie Traumata genetisch von einer auf die nächste Generation übertragen werden können. Ein Trauma hinterlässt Spuren in der DNA und diese Spuren prägen das Verhalten der nächsten Generation. Die Forschung kann nachweisen, dass die epigenetischen Veränderungen im Blut von traumatisierten Menschen denen der traumatisierten Mäuse gleichen. Bei der Übertragung von Traumata spielen noch weitere Aspekte eine Rolle; unter anderem die kulturelle Weitergabe, die durch die Kriegserzählungen seines Opas Fritz bei Sebastian gewirkt hat.
Überlebensstrategie
Eine weitere Station auf Sebastians Reise ist ein Seminar bei Peter Levine, ein weltbekannter Traumatherapeut. Peter Levine geht davon aus, dass jeder Mensch traumatisiert ist. Als Sebastian erwähnt, dass er vielleicht niemals herausfinden wird, was sein Großvater getan hat, zeigt ihm Peter Levine eine andere Sichtweise auf. Wichtiger als zu wissen, was er tat, sei es, zu wissen, was er erlebt hatte. Sein Opa hatte ihm erzählt, wie er im tiefsten Winter im Schützengraben nur mit ein paar Zweigen bedeckt schlafen musste und dass er großen Hunger litt. Das zu überleben war nur möglich, indem er sein Körpergefühl ausschaltete. Ist das der Grund, warum Sebastian seinen Körper oftmals kaum spürt? Wirken die Überlebensstrategien seines Großvaters noch in ihm?
Generalverdacht
Von einem Besuch im Militärarchiv erhoffen sich Sebastian und sein Vater neue Erkenntnisse über die Kriegsvergangenheit von Opa Hans. Sie erfahren, dass der Großvater ebenfalls nach Russland entsendet wurde. Das Überraschende ist: Er wurde genau in dem Gebiet als vermisst gemeldet, in das Sebastian schon mehrmals in den Jahren zuvor auf seinen Reisen unterwegs war. Vater und Sohn sind tief betroffen, als sie hören, was sich beim Rückzug der deutschen Truppen im Juli 1944 in diesem Gebiet ereignete. Es wurden ganze Dörfer zunichte gemacht.
Sebastians Vater sieht seinen Generalverdacht bestätigt, dass alle – also auch sein Vater – Kriegsverbrecher waren. Diese Ablehnung und Verurteilung des eigenen Vaters erschüttert Sebastian zu tiefst. Er fragt seinen Vater: „Möchtest du denn gar nicht verstehen, was in deinem Vater vor sich gegangen ist?” Sein Vater antwortet: „Ich will auch gar kein Verständnis dafür haben.“ Das ist für Sebastian unverständlich.
Seinen Impulsen vertrauend macht Sebastian sich auf die Reise, um den Spuren des Großvaters nach Weißrussland zu folgen.
Begegnungen
In Weißrussland besucht Sebastian das Museum des großen vaterländischen Krieges. Dort erfährt er, dass das Land damals von Deutschen besetzt und jeder vierte Weißrusse getötet wurde. Er fragt sich, ob es wohl noch Überlebende aus dieser Zeit gibt. In Baranowitsche findet er eine alte Frau. Bei einer Tasse Tee zeigt Sebastian ihr ein Bild von seinem Großvater. Sie schaut es an und sagt:„Keiner weiß, was ihr Großvater getan hat. Er muss sich im Jenseits verantworten, wenn er etwas Böses getan hat.” Mit einem Blick auf das Bild ergänzt sie: “Ihr Großvater ist ein Guter.” Sebastian ist erleichtert. Nach einer Pause fügt sie hinzu: „Wir sind Freunde, die neue Generation trägt keine Schuld am Krieg.“
Im Nationaltheater in Minsk schaut sich Sebastian ein Theaterstück an. Es handelt von der Geschichte eines deutschen Soldaten, der sich in eine Weißrussin verliebt. Als er sie vor den Deutschen beschützen will, landet er im Konzentrationslager. Am nächsten Tag trifft Sebastian Diana, eine Angestellte des Theaters. Sie unterhalten sich angeregt über die möglichen Taten ihrer Großväter. Es taucht Im Laufe des Gesprächs die Frage auf, wie es wäre, wenn einer der Großväter den anderen Großvater getötet hätte und wie Diana damit umgehen würde. Darauf äußert Diana eine sehr weise und tiefsinnige Ansicht. Auch wenn sie wüsste, dass ihr Großvater viele Menschen getötet hätte, würde das ihre Einstellung zu ihrem Großvater nicht ändern, denn es ist und bleibt ihr Großvater. Nur er selbst hat es zu verantworten.
Auf seiner weiteren Reise durch Weißrussland trifft Sebastian auf Sascha und dessen Vater. Sie sind die Betreiber der Stalin Line, eines riesigen Open Air Militärmuseums. Dort finden regelmäßig große Inszenierungen des 1. und 2. Weltkrieges statt. Sebastian wird von Sascha über das Gelände geführt und probiert mit einem eher zwiespältigen Gefühl einige Kriegsgeräte aus. Später nimmt Sebastian sogar als Schauspieler an einer Kriegsaufführung teil. Er möchte erfahren, wie es ist, am Krieg beteiligt zu sein. Obwohl es nur gespielt war, konnte er eine Ahnung davon bekommen, wie es für seine beiden Großväter gewesen sein könnte.
“… und heute können wir Freunde sein”
Nach Sebastians Rückkehr kann er auch seinen Vater dafür interessieren, mit ihm nach Weißrussland zu reisen, um mehr über die Jahre des Großvaters in Russland zu erfahren. So machen sie sich auf den Weg und treffen in der Nähe des Dorfes, wo der Großvater verwundet wurde, tatsächlich auf Zeitzeugen. Ihre Erzählungen sind schmerzlich und lösen tiefe Betroffenheit bei Sebastian und seinem Vater aus. Doch es gibt auch Erinnerungen der Einheimischen an freundliche deutsche Soldaten, die Bonbons verteilt haben. Bei der Verabschiedung sagen sie: „Und heute können wir Freunde sein.”
Am Ende der Reise schreibt Sebastians Vater, Klaus Heinzel ein Gedicht.
Der Frieden in mir – Spurensuche
von Klaus Heinzel
Eine Reise über 70 Jahre lang zurück
in eine fürchterliche Zeit.
Spurensuche in Weißrussland,
ein Land in damals großem Leid.
Die Spur des Vaters finden und vielleicht begreifen.
Begegnungen mit den Menschen suchen,
Gespräche führen, Chancen nutzen und persönlich reifen.
Friedlich seinen Spuren folgen, wo er mit großem Tross
den Krieg gebracht.
Den eigenen Frieden finden auch im Innern,
an Orten, wo er führte seine Schlacht.
Die Reise zeigt schnell tiefe Wunden,
die auch nach über 70 Jahren noch ganz nah.
Das Trauma dieser Zeit ist da,
viele Seelen konnten nicht gesunden.
Was du getan musst du allein nur tragen.
Ich schultere diesen Rucksack nicht mehr länger.
Ich mach mich frei von deiner schweren Bürde,
und führe mein Leben ohne deine Schuld
in Freiheit und in Würde.
Aus: Sebastian Heinzel: Der Krieg in mir, S.163
Der Film: “Der Krieg in mir” ist wieder im Kino zu sehen oder als Download sowie als DVD im Shop erhältlich. Das gleichnamige Buch ist auch über den Shop auf der Seite von Heinzelfilm zu bekommen. www.derkrieginmir.de
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wieder im Kino
Ich habe das Glück gehabt vor Schließung der Kinos eine Vorführung in Essen zu erleben.
Selten war ich so ergriffen von einem Film. Auch in mir tobt seit über 50 Jahren der zweite Weltkrieg. Zu allem Überfluss wurde durch meine Erziehung in der DDR dies auch noch befeuert. Eine Aufarbeitung fand nicht statt. Somit fühle ich mich bis heute wie ein Hitlerjunge der immer fluchtbereit ist.
Durch eine psych. Erkrankung bekam ich erstmalig die Gelegenheit mich mit meinem Krieg auseinander zu setzen.
In einer Selbsthilfegruppe für Kriegsenkel kann ich viele unterdrückte Gefühle aufarbeiten. Ich erwarte keine Heilung, ich klage nicht an. Ich möchte verstehen und Verständnis entwickeln. Auch für mich.
Der Film kam für mich genau zur richtigen Zeit. Danke dafür.
Lieber Heiko,
vielen herzlichen Dank für deinen wertvollen Beitrag. Ich denke, es geht vielen Kriegsenkeln ähnlich. Deine Haltung, dass Du verstehen möchtest ist ein sehr guter Ansatz.
Wie schön, dass du eine Möglichkeit gefunden hast, dich mit anderen Kriegsenkeln auszutauschen. Das ist ein wichtiger Schritt. Ich freue mich, dass Dir der Film gefallen hat und genau zur richtigen Zeit kam.